Winterflucht Gran Canaria - DAS Motorradparadies

MINIMUNDUS

Mit verschlungenen Sträßchen abseits ausgetretener Touristenpfade lässt Gran Canaria Motorradfahrer jegliche Wintermüdigkeit vergessen. Und auch sonst hat das wohl vielseitigste Eiland der Kanaren jede Menge Genuss zu bieten - und trägt verdient den Spitznamen "der kleine Kontinent".

Text: Justin Case

Schon Wilhelm Busch wusste: Erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt. Nach Covid und einem arbeitsreichen Berufsjahr stand im Dezember eigentlich endlich wieder eine spontane Fernreise in exotische Destinationen auf meinem Programm. Pina Colada statt Glühwein, Badehose statt Winterhaube und ausnahmsweise auch Surfboard anstatt Motorrad - doch das Schicksal hatte andere Pläne. Weil gleichzeitig wohl auch Millionen anderer Menschen denselben Wunsch hatten, waren die Flugpreise nach Südamerika, auf eine Karibikinsel oder nach Neuseeland ungefähr so leistbar wie Hollywoodstar Keira Knightley als persönliche Fitnesstrainerin. Um kurz vor Weihnachten noch ordentlich Sonne zu tanken, musste daher eine schnelle, unkomplizierte Alternative her. 

Im Winter geht es günstig auf die Insel

Als Motorradjournalist glaubt man Gran Canaria einigermaßen gut zu kennen - immer wieder präsentieren diverse Hersteller auf den wettersicheren Kanaren neue Fahrzeuge. Für ausgiebige Erkundungen ist wegen des straffen Zeitplans dieser kurzen Events jedoch nie Zeit. Sicher ist nur: Die Flugzeit bleibt mit rund fünf Stunden in erträglichem Rahmen, die Sonne scheint auf der drittgrößten Kanareninsel rund 300 Tage im Jahr und das subtropische Klima garantiert an der Küste ganzjährig Temperaturen zwischen zwanzig und dreißig Grad. Direktflug-Tickets von Wien ergattere ich bei Ryanair um 350 Euro inklusive Gepäck, das Apartment in einer schmucken, abseits des Trubels gelegenen Hotelanlage bei Taurito inklusive 30-Meter-Pool um rund 90 Euro pro Nacht. Doch die SchnäppchenVorfreude wird von einer gehörigen Portion Skepsis gedämpft: insgeheim befürchte ich mit Touris überfüllte Strände sowie germanisches Ballermann-Feeling. Also bleibt nur der erfahrungsgemäß beste Weg um Massentourismus aus dem Weg zu gehen: ein Motorrad mieten. 

Canary Ride als Basis des Glücks

Gleich nach der Ankunft führt mein Weg zu CanaryRide.com im Herzen der imposanten Hauptstadt Las Palmas: ein etablierter Vermieter, mit dem 1000PS-Mastermind NastyNils seit Jahren zu vollster beidseitiger Zufriedenheit kooperiert. Tatsächlich offerieren die engagierten Mitarbeiter von CanaryRide in Deutsch, Englisch, Spanisch, Französisch und Tschechisch die neuesten Modelle von Ducati und Honda in außergewöhnlich gepflegtem Top-Zustand zu fairen Preisen - je nach Mietdauer ergattert man eine handliche Honda CB500X bereits ab 70 Euro pro Tag. Meine erste Wahl fällt auf eine DesertX, auf der ich durch das rege Treiben in den verwinkelten Gassen der schmucken, historischen Hauptstadt mit stattlichen 380.000 Einwohnern in Richtung Bergkulisse navigiere. 

Viel Unterhaltung abseits vom Bike

Für Reisen mit der sogenannten "besseren Hälfte" charmanter Begleitung empfiehlt sich Las Palmas als idealer Stützpunkt: Hier wird es auch Nicht-Motorradfahrern nie langweilig, denn die pulsierende Hauptstadt im Kolonialstil bietet jeglichen urbanen Komfort, ohne dabei je übermäßig touristisch zu wirken. Neben einer Vielzahl von Sport- und Kulturstätten laden grandiose Restaurant sämtlicher internationaler Geschmacksrichtungen zum Verweilen ein. Außerdem offerieren zahlreiche Einkaufscenter alles was das Shopping-Herz begehrt - zur Erholung und Verdauung der gastronomischen Köstlichkeiten ist der außergewöhnlich schöne, sandige Stadtstrand "Playa de Las Canteras" samt belebter Promenade dabei immer nur einen Katzensprung vom verwinkelten City-Center entfernt. 

Hier, nur ein paar Meter vor der größten Stadt auf der Insel, gibt es sogar Möglichkeiten zum Wellenreiten und Schnorcheln. Noch mehr Unterwasserwelt bietet sonst nur eine Bootstour oder das "Reserva Marina del Cabrón" bei Arinaga. Obwohl ich von vergangenen Reisen nach Fiji, Florida, Costa Rica, Ägypten und Australien in puncto Fisch-Vielfalt ziemlich verwöhnt bin, begegnete ich ausgerechnet auf Gran Canaria dem mit Abstand größten Rochen, den ich je vor die Taucherbrille bekommen habe. 

So fährt es sich auf Gran Canaria

Das Straßennetz auf dem annähernd kreisrunden, 1560 Quadratkilometer großen Archipel ist besonders auf der klimatisch feuchteren Nordhälfte unglaublich dicht und sensationell kurvenreich. Weil die mit knapp 2000 Metern höchsten Gipfel exakt im Zentrum der Insel in den blitzblauen Himmel ragen, führt nahezu jedes der schmalen Asphaltbänder von der Küste steil hinauf in die Berge. Flache Etappen sucht man (abgesehen von der Autobahn GC-1) in der Praxis völlig vergeblich, Straßen parallel zu den Höhenlinien sind auf der Karte ebenfalls kaum zu finden. 

Eine für Radfahrer und Wanderer äußerst strapaziöse Tatsache - wie ich aus eigener Erfahrung berichten kann. Nichts desto trotz kann ich all jenen, die gelegentlich auch gerne Zweirad-Touren ohne Verbrennungsmotor unternehmen, eine Rennrad-Ausfahrt auf Gran Canaria nur ans Herz legen. Die endlosen Nebenstraßen sind wenig befahren, die Steigungen knackig, die Aussichten lohnend und Kaffeepausen nirgends stimmungsvoller als auf dem kegelförmigen Eiland inmitten des Pazifiks. Feinste Rennrad-Ware von Specialzed, Cannondale oder BH vermietet an mehreren Standorten "Free Motion". Meine Anmietungen in Playa del Ingles, Arguineguin und Las Palmas verliefen jeweils unkompliziert und reibungslos. Je nach Mietdauer und Modell muss man zwischen 16 und 70 Euro pro Tag für das Renn-Leihrad einkalkulieren.

Während man vom Meer bis zu den Gipfeln Gran Canarias und wieder retour meist bis zum Sonnenuntergang am Fahrrad pedaliert, stehen mit dem Motorrad natürlich zahlreiche Berg- und Talfahrten auf dem Tagesprogramm. Die Vielzahl an Routen durch die Kieferwälder hinauf zur Spitze des zentralen Kegels sind für Freunde der Schräglage ein außergewöhnliches, beinahe einzigartiges Kurvenparadies. Ähnlich wie auf Korsika oder im Friaul schlingen sich die schmalen Sträßchen entlang der steilen Felswände schnell der ungetrübten Sonne entgegen und gewähren spektakuläre Panoramen bis zum Vulkan Teide auf Teneriffa, der mit 3715 Metern nochmals ein ganzes Stück höher aus dem Ozean aufragt als der 1949 Meter hohe Pico de las Nieves auf Gran Canaria.  

Die Tatsache, dass die sonnige Südwest-Hälfte der Insel wettermäßig begünstigt ist, während an den besonders grünen Nordost-Hängen Gran Canarias der Meeresdunst regelmäßig den Blick zum Himmel verdeckt, lässt sich kaum leugnen. Im Laufe einer Bergfahrt bestätigt sich außerdem die Faustregel, dass die Temperatur pro hundert Höhenmeter rund ein Grad Celsius sinkt - eines Morgens überrascht mich in der Nähe des markanten, 1813 Meter hohen Basaltfelsens "Roque Nublo" (spanisch für "Wolkenfels") am Kurvenausgang sogar Raureif auf dem Asphalt. An Grip mangelt es den Straßen dennoch nicht, im Gegenteil: Wegen des scharfkantigen Vulkangesteins, das in den Bodenbelag gemischt wird, fährt man wie auf Schleifpapier mit 80er-Körnung und darf in maximaler Schräglage unbeschwert die Fußraster schraddeln lassen. Ich kenne sonst kaum eine Motorrad-Destination, wo man ähnliches Vertrauen in das Haftvermögen des Asphalts haben darf. Allerdings sind besonders die ganz kleinen, engen Nebenstraßen nicht immer in Bestzustand: Asphalt-Aufbrüche, Steinschläge und Schotterflecken wie beispielsweise zwischen Barranquilo Andres und Ayacata oder der GC-210 zwischen Candelaria und La Aldea mahnen immer wieder zur erhöhter Vorsicht.

Hier lässt sich das Leben genießen

Beschauliche Erholung bieten die rustikalen Straßencafés und -bars der lieblichen Bergdörfer. Vom Massentourismus an der Südküste ist hier nichts zu spüren - Abgesehen von ein paar verschwitzten Rennradfahrern und Wanderern trifft sich hier auch die lokale Bevölkerung zu "Café Cortado" (ab 1 Euro), einem "Bocadillo con tomate y jamon" (rund 3,50 Euro) und ausgiebigem Insel-Tratsch. Hält man sich von den typischen Touristenfallen nahe der Hotel-Betonbunker im All-Inclusive-Moloch Maspalomas fern, zaubern die einheimischen Restaurants im Landesinneren meist herrlich authentische Küche zu moderaten Preisen. Selbstversorger dürfen sich in den zahlreichen Supermärkten ebenfalls über niedrige Lebensmittelpreise freuen, da der IGIC-Regelsteuersatz auf der geographisch zu Afrika gehörenden Insel - anders als die 21 Prozent IVA-Mehrwertsteuer am spanischen Festland - mit sieben Prozent äußerst niedrig ausfällt. Schade, dass die tägliche Kilometerleistung wegen der anspruchsvollen Inseltopografie stets eher bescheiden bleibt, denn auch der Treibstoff ist mit 1,35 Euro je Liter (zum Zeitpunkt meiner Reise) durchaus Motorrad-freundlich. 

Canary Ride bietet eine gewaltige Auswahl

Im Laufe meines Aufenthalts erprobe ich bei CanaryRide neben der DesertX auch Ducati Scrambler Desert Sled, Honda Africa Twin Adventure Sports und Honda NC750X. Von all den top gepflegten Leihfahrzeugen entpuppt sich am Ende überraschenderweise die günstige CB500X wegen ihres spielerischen Handlings und der üppigen Schräglagenfreiheit als mein persönlicher Favorit für die permanenten Slalom-Sonderprüfungen auf Gran Canaria: Im Solo-Betrieb hat sie halbwegs ausreichende Pferdestärken für die steilen Ansteige, die tadellose Bremsanlage absolviert jede Abfahrt souverän und die Wendigkeit ist fast auf Augenhöhe mit einer Supermotard. Die CB scheint wie maßgeschneidert für die Gegebenheiten auf Gran Canaria und garantiert Fahrspaß pur.

Wer dann vom Kurvensurfen schwindelig ist, riskiert auch abseits des Motorrades keine Langeweile: Die Felsbuchten haben Schnorchlern und Tauchern wie bereits erwähnt viel maritimes Leben zu bieten, aber auch (halbwegs geübte) Wind- und Kitesurfer finden dank der Passatwinde an der Südostküste geeignete Spielplätze. Am Playa del Aguila betreibt beispielsweise der Waterman und 42-fache (!) Windsurf-Weltmeister Björn Dunkerbeck seine Surfschule. Im Sommer peitscht der Wind hier immer wieder mit bis zu 8 Beaufort (62 bis 74 km/h) über das Meer, zwischen April und September verzeichnet man hier an fast 90 Prozent der Tage Wind mit mehr als 35 km/h. 

Auch Golfspieler können zwischen zahlreichen Optionen wählen und die Erkundung der Bergwelt zu Fuß sei Besuchern ebenfalls ans Herz gelegt: Im Unterschied zu der kargen, rauen Landschaft auf Fuerteventura oder Lanzarote erinnert die üppige, besonders in der Insel-Nordhälfte saftig grüne Vegetation sogar abseits der zahlreichen Bananen-Plantagen fast an die Tropen. Ganz zu Recht verdient die drittgrößte Kanareninsel mit 14 Mikroklimazonen den Spitznamen "Miniaturkontinent".

Bericht vom 01.01.2024 | 14.133 Aufrufe